Neues vom Nachbarn – Wochenblatt-Kolumne von Oliver Lück
Heute mal eine Geschichte von früher. Hamburg im Jahr 2005. Es muss Anfang Dezember gewesen sein. Ich arbeitete als Sportreporter für ein Fußballmagazin mit dem schönen Namen RUND, das einmal monatlich erschien. Und regelmäßig traf ich auch prominente Menschen zum Interview, die selber kein Fußball spielten, aber Fans waren, so wie an diesem Tag Herman van Veen, den großen niederländischen Liedermacher.
Kennen Sie van Veen? Schon als kleiner Junge hatte ich ihn im Fernsehen gesehen und mit großen Augen und offenem Mund gestaunt, wenn er seine Geige spielte, dazu sang und über die Bühne tanzte. Er war ein Clown, der keine rote Nase brauchte, um witzig zu sein. Es gibt ja Menschen, die schon von Natur aus lustiger aussehen als andere. Sie benötigen keine Verkleidung. Sie müssen auch nichts Komisches sagen oder Grimassen schneiden. Und bis heute versteht es Herman van Veen, den kleinen, eher stillen Momenten mit wenigen Worten und Gesten eine echte Wichtigkeit zu geben.
Nun aber wieder 17 Jahre zurück in der Zeit: Das Interview mit van Veen stand an. Und nun saßen wir auf der Bühne der Hamburger Musikhalle, wo er am Abend ein ausverkauftes Konzert geben würde. Auf Stühlen Platz genommen. Diktiergerät an. Das Gespräch konnte beginnen. Es begann aber nicht. Ich brachte kein einziges Wort heraus. Stille. Ich war viel zu aufgeregt und wieder sieben Jahre alt, saß mit staunenden Augen da und guckte ihn einfach nur an.
Glücklicherweise war auch mein Kollege und Freund Rainer Schäfer dabei, der die ersten Minuten des Interviews alleine eröffnete und sich mit dem Holländer angeregt unterhielt. Und ja, van Veen sagte wirklich großartige Sätze, wie: „Wenn meine Augen Pässe geben könnten, dann gäbe es ein Tor nach dem anderen.“ Oder: „Wenn das Spiel vorüber ist, gehen wir Holländer an den Schnaps.“
Und dann, endlich, nach fünf quälenden Minuten, die wie Stunden waren, brach es aus mir heraus: „Herr van Veen, jetzt eine Frage von mir: Was denkt der Ball?“ Der Mann mit der großen Nase und der glänzenden Glatze drehte sich zu mir, schaute mich ernst aus seinen durchdringenden Augen an. Und schließlich sagte er den besten Satz, der sich auf diese Frage sagen lässt, wobei es gar kein richtiger Satz, sondern nur ein einzelnes Wort – und eigentlich noch nicht einmal das – war: „Aua.“

Oliver Lück
… ist Journalist und Buchautor. Jede Woche erzählt er an dieser Stelle von seinen Beobachtungen und Begegnungen. Aktuell im Handel sind von ihm:
Der Strandsammler
(Rowohlt Verlag, 144 Seiten)
Buntland – 16 Menschen,
16 Geschichten
(Rowohlt Verlag, 256 Seiten plus 32 Fotoseiten)