
Mehr Bedürftige, aber bessere Organisation: Wie die Tafeln im
Hamburger Westen in Coronazeiten zurechtkommen
Christoper von Savigny, Hamburg-West
Seit zwei Jahren ächzt Hamburg unter der Corona-Pandemie. Viele sind arbeitslos geworden oder arbeiten in Kurzarbeit, haben weniger im Portemonnaie und sind auf günstige Lebensmittel angewiesen. Laut „Hamburger Tafel“ hat die Anzahl der Bedürftigen während der vergangenen zwei (Pandemie-)Jahre um rund 30 Prozent zugenommen. Wie geht es bei den Tafeln im Hamburger Westen zu? Gibt es mehr Kunden? Weniger Spenden?

Im Keller des Reewie-Hauses, dem Nachbarschaftstreff der Kirchengemeinde Eidelstedt, werden an diesem Mittwochmittag viele Tüten gepackt: Äpfel, Bananen, Kartoffeln und Zwiebeln wandern portionsweise in durchsichtige Plastikbeutel, Kuchen und Brot in Papiertüten. Ein weiteres Behältnis ist für Aufschnitt und Milchprodukte vorgesehen, ein viertes für „Trockenware“ wie Nudeln und Konserven – sogar einige übriggebliebene Schoko-Weihnachtsmänner finden sich darunter. Um 14 Uhr beginnt die Lebensmittelausgabe im Reewie-Haus, jede Woche, seit 13 Jahren. Rund 110 Haushalte versorgt die Gemeinde mit Gratis-Lebensmitteln. Während andere „Tafeln“ in Hamburg während der Pandemie Aufnahmestopps beschlossen haben und zum Teil nicht mal mehr Wartelisten führen, hat Eidelstedt sogar noch Plätze frei. „Es würde auch für 150 Haushalte reichen“, sagt Gemeindediakon Uwe Loose. Dank einer straffen Organisation hat die Verteilstelle im Wiebischenkamp in dieser Hinsicht offenbar keine Probleme: „Wer mehrmals unentschuldigt fehlt, wird von der Liste gestrichen“, erklärt Loose das einfache, jedoch wirkungsvolle Prinzip. So vermeide man „Karteileichen“.
Manche haben Angst vor Ansteckung
Von Corona-Krise also keine Spur? „Die Altersarmut hat spürbar zugenommen“, berichtet der Kirchenmann. Besonders schlimm: „Viele von denen, die es eigentlich nötig hätten, trauen sich nicht her. Aus Scham vielleicht, oder aus Angst vor Ansteckung.“ Sobald alle Pandemie-Beschränkungen gefallen seien, würden aber auch die letzten „Stammkunden“ zurückkehren, ist sich Loose sicher.
Rund 20 Ehrenamtliche helfen im Reewie-Haus mit beim Tüten packen. Marco ist – wie ein Großteil der Helfer – im jungen Erwachsenenalter. „Statt den ganzen Tag zu Hause rumzusitzen, helfe ich lieber hier mit“, berichtet der Arbeitslose. Die freiwillige Beschäftigung tue ihm ausgesprochen gut. „Besonders schön ist es, wenn man mitkriegt, wie sehr sich die Leute über die Sachen freuen.“
Reger Andrang beim Verein „Anstoß“

Ortswechsel: Auch in der Lebensmittelausgabe des Vereins „Anstoß“ in der Vizelinstraße herrscht reger Betrieb. Auf den Tischen unter dem Vordach haben die Helfer – hier sind die meisten im Rentenalter – Berge von Obst, Gemüse und abgepackten Lebensmittenl ausgebreitet. Wie beim Reewie-Haus stammt ein Großteil der Ware von der „Hamburger Tafel“, die in der Hansestadt etwa 130 Verteilstellen beliefert. „Zurzeit haben wir 125 Berechtigungsscheine ausgegeben, mehr schaffen wir nicht“, sagt die zweite Vereinsvorsitzende Dagmar Vogel. Die Ausgabe ist streng geregelt: Alle halbe Stunde ist eine neue Gruppe von jeweils 25 Personen an der Reihe, der Turnus wird wöchentlich geändert. Und weil alles an der frischen Luft stattfindet, bekommt man seine Lebensmittel nicht in der Tüte überreicht, sondern darf trotz Corona selbst wählen. „Die Rente reicht vorne und hinten nicht“, berichtet eine ältere Dame mit Rollator, nach eigenen Angaben seit acht Jahren „Kundin“ der Tafel. Trotz des Gratis-Angebots achte sie genau darauf, nicht mehr mitzunehmen, als sie verbrauchen könne. „Wegschmeißen kommt für mich nicht in Frage.“
An der Kapazitätsgrenze angekommen
Deutlich mehr Zulauf als Eidelstedt und Lokstedt hat die Ausgabestelle der Paulusgemeinde in Altona. „Wir sind an unserer Kapazitätsgrenze“, berichtet Birgit Eggert, ehrenamtliche Leiterin. Rund 120 Haushalte versorgt die Einrichtung Woche für Woche, insgesamt etwa 300 Personen, davon ein Drittel Kinder. Die Pandemie habe viele Menschen arbeitslos gemacht. Zudem sei der Einzugsbereich mit St. Pauli, der Schanze, Altona und dem südlichen Eimsbüttel vergleichsweise groß, so Eggert.
Wer die Dienste einer Lebensmittelausgabe in Anspruch nimmt, muss üblicherweise einen entsprechenden Nachweis (Hartz IV, Rentenbescheid) vorzeigen. Zudem wird pro Besuch eine „Schutzgebühr“ in Höhe von ein oder zwei Euro fällig.

