Neues vom Nachbarn – Wochenblatt-Kolumne von Oliver Lück
Es sind seine besten Schuhe. Schwarzes, glattes Leder, schwarze Schnürsenkel. Fast schon elegant, aber nicht zu sehr. Nach vorne hin laufen sie etwas spitz zu. Halbschuhe eben. Er trägt sie gerne. Nicht nur, wenn er auf Geburtstagen oder Beerdigungen eingeladen ist. Auch mal zum Einkaufen oder wenn er mit dem Hund geht. Und ich wette, jeder und jede kennt das Gefühl, wenn man Schuhe gefunden hat, die einem passen, die nirgends drücken, die einem glauben lassen, man liefe schwebend durchs Leben, so als ob man gar keine Schuhe trüge.
Lieblingsschuhe sind wichtig, keine Frage. Auch für meinen Vater, der jetzt 85 ist und schon sehr viele Paare getragen hat in seinem Leben. Sind sie aber auch derart wichtig, dass man sie über Nacht in den Kühlschrank stellen muss, weil sie vielleicht verderben könnten?
Genau das ist vor einiger Zeit passiert. Und nicht zum ersten Mal. Doch die Überraschung bei meiner Mutter ist jedes Mal gleich groß, wenn sie am Morgen die Tür des Kühlers öffnet, um die Butter und den Aufschnitt für das Frühstück herauszuholen, dann aber neben dem Rosenkohl die Schuhe meines Vaters stehen sieht. Stets hat er sie geputzt. Und es sind immer nur seine Besten, nie sind es andere.
Mein Vater ist seit 15 Jahren dement, sollte ich dazu vielleicht erwähnen. Er kann sich selber nicht mehr erklären, warum gekühlte Schuhe eine gute Idee sein könnten. Aber seinen Humor hat er bis heute nicht verloren, so viel ist auch klar. Spricht man ihn auf die Schuhe an, fragt er: Wer macht denn sowas? Und dann grinst er. Und wer weiß, vielleicht helfen kühlere Temperaturen ja tatsächlich auch gegen die etwas strengeren Gerüche von vielgetragenen Lieblingsschuhen. Und vielleicht hat auch der Ausdruck „Käsefuß“ ja genau dort seinen Ursprung: im Kühlschrank.
Neulich fand meine Mutter eine Stromrechnung in der Spülmaschine. Noch so eine gute Idee, auf die man erst einmal kommen muss. Schließlich ist der Strom gerade derart teuer geworden, dass es sich gewaschen hat, könnte man meinen. Wer macht denn sowas? Würde man Vater fragen.

Foto: www.heiderose-gerberding.com
Oliver Lück
… ist Journalist und Buchautor. Jede Woche erzählt er an dieser Stelle von seinen Beobachtungen und Begegnungen. Aktuell im Handel sind von ihm:
Der Strandsammler
(Rowohlt Verlag, 144 Seiten)
Buntland – 16 Menschen,
16 Geschichten
(Rowohlt Verlag, 256 Seiten plus 32 Fotoseiten)