Der FC St. Pauli könnte den HSV erstmals nach 68 Jahren in der Abschlusstabelle überflügeln
Volker Stahl, Hamburg. Im Hamburger Fußball ist der HSV seit einer gefühlten Ewigkeit die Nummer eins. In dieser Spielzeit könnten sich die Kräfteverhältnisse nach fast sieben Jahrzehnten wieder einmal verschieben. Einen Fingerzeig darauf, ob das in diesem Jahr passieren könnte, wird das Derby in der 2. Bundesliga zwischen dem HSV und Tabellenführer FC St. Pauli am Freitag, 21. Januar (18.30 Uhr, Volksparkstadion), geben.
Zuletzt hätte der härteste innerstädtische Konkurrent die Rothosen in der Saison 1989/90 um ein Haar überflügelt. Weil die Kiezkicker am letzten Spieltag aber bei Fortuna Düsseldorf mit 0:7 untergingen und der HSV den SV Waldhof Mannheim gleichzeitig mit 1:0 bezwang, rettete der sich bei Punktgleichheit (31:37) auf Platz 11 – und lag dank der um acht Treffer besseren Tordifferenz am Ende zwei Ränge vor St. Pauli.
Doch wann hatten die Braun-Weißen den HSV zuletzt in der Tabelle überflügelt? Wer die Antwort wissen möchte, der muss ganz tief in die hiesige Fußballgeschichte eintauchen – und landet im Jahr 1954, ausgerechnet in der Spielzeit, nach deren Ende die Rothosen Jupp Posipal und Fritz Laband mit der deutschen Nationalmannschaft in Bern Weltmeister wurden!
„Die Oberliga-Spielzeit 1953/54 ist als absolute Katastrophen-Saison in die HSV-Historie eingegangen. Satte vierzehn – und damit fast die Hälfte – der 30 Punktspiele gingen verloren, darunter das statistisch einmalige 2:10 auf Schneeboden bei Arminia Hannover“, erzählt HSV-Chronist Broder-Jürgen Trede, der das Derby am Freitag wieder norddeutsch-humorig im HSVnetradio kommentieren wird.
Damals verlor der HSV beide Duelle gegen den Stadtrivalen. Am Rothenbaum verzeichnet die Statistik im September 1953 ein 0:2, und im März 1954 verloren Posipal und Co. durch Tore von „Coppi“ Beck, Heitkamp und Sump sang- und klanglos mit 0:3. „Mit Ausnahme von Wojtkowiak glich der sogenannte Angriff eines HSV einer Hühnerschar ohne Kopf“, lautete der niederschmetternde Kommentar von Jupp Wolff im Sport Magazin.
Besonders bitter: Im November 1953 gab es auch noch eine deftige Niederlage am grünen Tisch. Wegen einer unerlaubten Handgeldzahlung an den Nationalspieler Willi Schröder wurden dem HSV vier Zähler abgezogen. „Eine doppelte teure Nummer, denn zu allem Überfluss wechselte Schröder später dann gar nicht an den Rothenbaum, sondern zu Werder Bremen“, sagt der studierte Sportwissenschaftler Trede.
Am Ende der Saison belegte der HSV in der Oberliga Nord – damals die höchste Spielklasse – den elften Platz (77:58 Tore, 27-33 Punkte), der FC St. Pauli wurde hinter dem späteren deutschen Meister Hannover 96 mit 65:37 Toren und 39-21 Punkten Zweiter. Wiederholt sich die große Schmach für die Rothosen im Jahr 2022?