Olaf Zimmermann, Hamburg. Nach mehreren Wochen coronabedingter Pause öffnen immer mehr Hamburger Kultureinrichtungen ihre Türen für das Publikum. Ob Museum oder Ausstellungshaus, Auto- oder Programmkino, Theater oder Konzert, Bücherhallen oder Stadtteilkultur – in Hamburg geht schon wieder einiges. Nur wenige Bereiche sind durch das Coronavirus weiterhin komplett lahmgelegt. Zum Beispiel die Hamburger Chöre. Normale Proben sind nicht möglich, Auftritte fallen aus, Einnahmen fehlen. Droht vielen Chören jetzt das Aus? Das Wochenblatt hat mit Angelika Eilers, Präsidentin des Chorverbandes Hamburg, gesprochen.
Gemeinsam Singen im Chor – gibt’s das erst wieder, wenn eine Impfung oder ein Medikament gegen Corona auf dem Markt ist?
Die Frage kann ich so nicht beantworten. Solange die Abstandsregelung gilt, können Chöre nur begrenzt proben. Zum Glück ist gerade Sommer, so dass einige Chöre bereits in Gärten von Chormitgliedern proben. Dort, wo es auf öffentlichen Plätzen erlaubt ist und die Proben angemeldet sind, werden die Proben im Freien abgehalten. In geschlossenen Räumen zu proben ist zwar gestattet aber schwierig, weil die wenigsten Chöre über Proberäume verfügen, die das Singen mit der aktuell gültigen Abstandsregelung ermöglichen.
Wenn innen geprobt wird, finden nur Proben mit wenigen Teilnehmern statt, etwa Stimmproben. Manche Chöre werden die nächste Probe weiter nach hinten verschieben, weil die Mitglieder zum Beispiel wegen des Alters zu einer Risikogruppe gehören. Es gibt Chormitglieder, die gesagt haben, dass sie erst wieder zur Probe kommen, wenn es einen Impfstoff gibt. Unseres Wissens sind das aber nur sehr wenige.
Welche Optionen sind möglich: Singen im Freien, Proben über Video-Konferenzen?
Einige Chöre proben digital. Das ist aber aus verschiedenen Gründen schwierig. Singen im Freien im eigenen Garten ist möglich, wenn die Nachbarn mitspielen. Auf öffentlichen Plätzen muss die Probe angemeldet werden, und die Bedingungen sind von Bezirk zu Bezirk unterschiedlich. Um in voller Chorstärke innen zu proben, müssten die Chöre in Turnhallen oder ähnlich großen Räumen proben. Die sind aber häufig schon durch Schul- und Sportvereinveranstaltungen belegt.
Wie unterstützt der Chorverband in dieser Krise seine Vereine?
Wir recherchieren Informationen und geben sie unverzüglich an die Chorvorsitzenden und Chorleitungen weiter. Das geschieht auf direktem Wege per E-Mail, auf der Homepage www.chorverband-hamburg.de und über den Newsletter sowie auf Verlinkung auf anderen Portalen. Wir haben zum Beispiel ein Schutzkonzept entwickelt, das wir den Chören als Vorlage zur Verfügung gestellt haben.
Außerdem sind wir immer für eine direkte Frage zu erreichen. Wir versuchen, in der Politik Fuß zu fassen, um dort für den Chorgesang einen gebührenden Stellenwert zu erreichen. Wir haben eine Umfrage an die Hamburger Chöre erstellt, anhand deren Auswertung wir darstellen wollen, welche Bedürfnisse die Chöre haben. Akut ist der Raumbedarf die vorrangige Frage.
Werden Chorleiter weiter bezahlt? Was empfiehlt der Chorverband?
Wir haben von Anfang an empfohlen, die Chorleiter weiter zu bezahlen als Zeichen der Solidarität. Die meisten Chöre bezahlen ihren Chorleiter weiter. Einige haben aber die Zahlung eingestellt. Das hängt auch mit den Finanzen der einzelnen Chöre zusammen. Manche haben Rücklagen, auf die sie zurückgreifen können, manche kämpfen ums Überleben.
Einnahmen durch Auftritte fallen weg. Wie können Chöre eine finanzielle Schieflage vermeiden? Gibt’s vielleicht staatliche Zuschüsse?
Es gibt keine staatlichen Zuschüsse für Chöre. Der Chorverband Hamburg hat bei der Kulturbehörde darum gebeten, aber noch keine Antwort erhalten. In anderen Bundesländern gibt es Zuschüsse. Da der Chorverband sich bis auf einen für die Verbandszeitschrift zweckgebundenen Zuschuss von 5.000 Euro seitens der FHH (nicht kostendeckend) nur aus den Mitgliedsbeiträgen finanziert, können wir unsererseits leider keine Unterstützung bieten.
Der Bund hat laut Medienberichten ein Programm „Neustart Kultur“ auch für Chöre angekündigt, dazu sind aber noch keine Anmeldeunterlagen zu finden. Wir hoffen, dass sich dieses Programm tatsächlich auf eine finanzielle Unterstützung für Räume und Chorleiter bezieht.
Wie können Vereine ihre Mitglieder bei der Stange halten? Droht eine Austrittswelle?
Das ist sehr unterschiedlich. Einige Chöre haben von Anfang an digital geprobt oder sich wenigstens digital zum Klönen getroffen. Andere Chöre haben untereinander telefoniert. Bei wieder anderen ist in der Zeit nichts passiert. Viele Chorleiter haben sich um Übungen gekümmert, eingesungen und an die Mitglieder verteilt.
Unseres Wissens ist die Mitgliederlage stabil, und die Chöre wünschen sich sehr, dass die Proben wieder losgehen. Es geht sowohl ums Singen als auch um die sozialen Kontakte und darum, die langjährigen Mitsänger wieder zu treffen.
Problematischer als die Austritts- scheint die Auflösungsfrage zu sein. Finanzielle Probleme, die Alters- und Mitgliederstruktur, die Raumfrage und die lange Pause könnten dafür sorgen, dass einige Chöre sich nicht wieder treffen werden.
Der Chorverband Hamburg hat 3.685 Mitglieder, davon sind 817 Kinder (Stand 18.06.2020).
Kreis 1 Westlich der Alster
25 Chöre, davon 3 Kinder- und Jugendchöre, 1.124 Mitglieder, davon 179 Kinder.
Größter Chor: „älter&besser á capella im Ruhestand“ mit 264 Mitgliedern
Kreis 2 Östlich der Alster
27 Chöre, davon 3 Kinder- und Jugendchöre, 890 Mitglieder, davon 118 Kinder.
Größter Chor: „Polizeichor Hamburg“ mit 56 Mitgliedern
Kreis 3 Bergedorf
10 Chöre, davon 2 Kinder- und Jugendchöre,
419 Mitglieder, davon 61 Kinder. Größter Chor: „Gemischter Chor Havighorst-Boberg“ mit 75 Mitgliedern
Kreis 4 Südlich der Elbe
14 Chöre, davon 1 Kinder- und Jugendchor, 396 Mitglieder, davon 27 Kinder
Größter Chor: „Liederfreunde Marmstorf“ mit 105 Mitgliedern
Kreis 5 Vier- und Marschlande
15 Chöre, davon 2 Kinder- und Jugendchöre, 456 Mitglieder, davon 32 Kinder.
Größter Chor: „Liedertafel Flora Zollenspieker“ mit 71 Mitgliedern
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