

Andreas Göhring, Harburg.
Nach elf Jahren war endgültig Schluss: Im Oktober 2015 musste der Veritas Beachclub seine Sachen packen und das Filetstück des Binnenhafens am Lotsekanal für den Bau eines 4-Sterne-Hotels räumen. Für die Sand- und Cocktail-anbeter war es die Vertreibung aus dem Paradies. Die Emotionen schlugen erst recht hoch, als ein mit großem Engagement organisiertes Bürgerbegehren für den Erhalt des Freizeitparadieses vom Senat kassiert wurde. Manche arbeiten sich noch heute in den sozialen Medien an der causa Beachclub ab und verkünden wüste Verschwörungstheorien. Es ist fraglich, ob sie die ganze Geschichte des Beachclubs kennen.Diese Geschichte begann am Mittwoch, 7. Juli, 1999, gegen 14 Uhr, mit einem unbekannten Flugobjekt: Plötzlich krachte nämlich ein schweres Metallteil auf den Fußweg der Nartenstraße – ziemlich genau gegenüber der Stelle, wo heute die Theodor-Yorck-Straße einmündet und die Nartenstraße heute Veritaskai heißt. Die Abwicklung der DDR-Industrie war für die
K + S Rohstoff GmbH ein tolles Geschäft. Hinter der Mauer, die das Betriebsgelände vom Fußweg trennte, türmte sich der Schrott, am 7. Juli 1999 wurde es lebensgefährlich.
Schrotthalde statt blühender Landschaft
Die Firma tat alles, um den Vorfall zu vertuschen, ein Mitarbeiter sagte gegenüber Reportern: „Wir wissen von nichts.“ Doch es gab Zeugen, die alles beobachtet hatten. Das Wasserschutzpolizeirevier 3 schaltete sich ein. Und für den Bezirk war klar: Jetzt musste schnell etwas geschehen. Dass der Betrieb verschwinden musste, war längst beschlossene Sache. Der Anblick von Schrotthalden war kaum förderlich für die Träume von Bezirksamtsleiter Jobst Fiedler und seinen Nachfolgern, auf dem Gelände des ehemaligen Güterbahnhofs ein attraktives Quartier am Wasser zu entwickeln.
So ein Umzug lässt sich aber nicht von heute auf morgen organisieren. Nach Jahren der Vorbereitung wurde es kompliziert: Am neuen Standort am Roßhafen im Bezirk Mitte verzögerte sich die Baugenehmigung, weil ein Sachbearbeiter geklärt haben wollte, ob der Lärm, den vom Kran in die Schute fallender Schrott nun einmal erzeugt, vielleicht irgendwelche Grenzwerte überschreiten könnte.
Gleichzeitig war die K + S-Geschäftsleitung clever genug, vorsorglich gegen alle Bauprojekte in der Umgebung wie den Groenewold’schen Silo am Schellerdamm Widerspruch einzulegen. Falls der Umzug nicht klappen sollte, wollte man wenigstens „in Ruhe“ am alten Standort weitermachen – ohne sich um verschärften Lärmschutz kümmern zu müssen. Harburgs Rechtsdezernent Michael Lindau erkannte die Lage, gab Gas und ebnete gemeinsam mit dem Bezirk Mitte den Weg.
Jetzt wird’s interessant, denn nun kommt – über Bande sozusagen – der spätere Veritas Beachclub ins Spiel. Die Stadt legte nämlich nach Angaben der Finanzbehörde für den Kauf der Flurstücke 5291, 5292, 5311 und 5502 der Gemarkung Harburg (insgesamt 5.974 m2) rund drei Millionen Euro auf den Tisch. Mehr noch: Für die Kosten des Umzugs der Rohstoff GmbH griff die Stadt noch einmal ganz tief in die Tasche – dazu aber später mehr.
Jetzt konnte der Traum vom Quartier am Wasser wahr werden. Es geschah aber erst einmal gar nichts. Der Bebauungsplan Harburg 67/Heimfeld 46 ließ den Bau eines 65 Meter hohen Hotels zu. Oder eines ebenso hohen Wohnhauses. Das klang verlockend, trotzdem biss kein Investor an. Noch war der Standort Harburger Binnenhafen nicht hoffähig. Das änderte sich 2003, als Dr. Walter Pelka, Chef der Hamburger Filiale des international tätigen Schiffszertifizierers Bureau Veritas, quer dachte, alle negativen Etiketten für Harburg vergaß und sich für Räume an der Nartenstraße entschied – und gleich mal dafür sorgte, dass dieser Teil der Straße nach seinem Unternehmen benannt wurde.
Es wird auch
2016 einen
Beachclub in
Harburg geben
Olaf Scholz
im Jahre 2015 als
Erster Bürgermeister
Zwei Jahre später ächzten nicht nur die Veritas-Leute unter einer heißen Julisonne, die sich mit einem tagelangen Hitzestau mit Temperaturen über 30 Grad Celsius ordentlich ins Zeug legte. Das brachte weitere bekannte Querdenker in Wallung. „Mister Binnenhafen“ Arne Weber ließ kurzerhand einen 45 Meter langen und zehn Meter breiten Schwimmponton in den Westlichen Bahnhofskanal schleppen, tonnenweise Sand draufschütten und sechs Strandkörbe, 15 Liegestühle und eine Bambushütte mit Erfrischungsgetränken aufstellen. Fertig war der „Channel Strand“!
Unterdessen bastelte Heiko Hornbacher an seinem Beachclub. Er war ein wenig später am Markt, hatte aber als Natural-born-Gastronom den längeren Atem. Seinen Vertrag mit dem Landesbetrieb Immobilienmanagement und Grundvermögen (LIG) musste er Jahr für Jahr verlängern, er musste auch in jedem Frühjahr einen neuen Bauantrag stellen, es wurde trotzdem eine Erfolgsstory. Das Bezirksamt fand den Veritas Beachclub offenbar richtig cool und packte ihn in eine Standortbroschüre. Eigentlich konnte nichts mehr schief gehen.
Ging es aus Sicht der Beachclubber aber doch. Projektentwickler Frank Lorenz hatte nicht nur einen Betreiber für ein Hotel, er hatte wohl auch Finanzpartner für das 80-Millionen-Euro-Projekt gefunden. Nun brauchte er das Filetstück und teilte das auch Hornbacher mit. Sofort braute sich zwischen Strandkörben und Cocktailbar etwas zusammen. Wem gehört eigentlich die Stadt? Soll der Binnenhafen doch nur eine mickrige Kopie der kommerzgesteuerten HafenCity werden? Macht Kohle alles platt?
Nun war die bürgerliche GroKo in Harburg nicht gerade das geeignete Gremium, um einen Perspektivwechsel bei der Nutzung von Liegenschaftsgrundstücken durchzusetzen – auch wenn mit Hornbachers Schwager Ralf-Dieter Fischer (CDU) ein Politiker am Tisch saß, der keinen Eklat scheut.
Unterschriftensammlung
bewirkte nichts
Die Unterschriften für den Erfolg des Bürgerbegehrens „Save Your Beach“ kamen schnell zusammen. Das Bezirksamt wäre nun eigentlich gezwungen, den Bebauungsplan Harburg 67/Heimfeld 46 zu ändern und nicht mehr einen 65-Meter-Bau und einiges mehr zuzulassen. Eigentlich! Aber es gibt da auch im Hamburger Bezirksverwaltungsgesetz den Paragrafen 42. Dort heißt es unter anderem: „Unberührt bleibt die Befugnis des Senats, allgemein oder im Einzelfall Weisungen zu erteilen und Ange- legenheiten selbst zu erledigen.“
Die Finanzbehörde mit ihrem damaligem Präses Peter Tschentscher zog den Paragrafen, wies das Bezirksamt an, den Bebauungsplan nicht zu ändern. Begründung: „Eine dauerhafte Vermietung des Grundstücks zu gastronomischen Zwecken (Beach Club) wäre keine adäquate wirtschaftliche Alternative der Grundstücksnutzung für die Stadt.“ An anderer Stelle weist die Behörde noch darauf hin, dass sie mit dem Verkauf des Grundstücks an einen Hotelbetreiber den „seinerzeitigen Ankaufspreis nahezu erreichen“ könne. Aha! Nun war in früheren Äußerungen nicht nur von den Kosten des Grundstückskaufs die Rede, auch die Kosten der Verlagerung des Schrottbetriebs müssten bei der künftigen Nutzung eingepreist werden. Aber was hat die Stadt denn nun wirklich dafür springen lassen? Der CDU-Bürgerschaftsabgeordnete André Trepoll wollte es wissen und fragte den Senat. Dessen Antwort vom 4. November 2014 haut einen um: „Die Höhe der Kosten ist aus den vorhandenen Akten nicht mehr zu ermitteln.“ Ist das noch seriös?
Könnte man nicht eine andere Rechnung aufmachen? Dazu müsste man unter anderem wissen, welche Pacht Hornbacher für die vorübergehende Nutzung des Filetstücks zahlen musste. Ein interessierter Harburger Bürger wollte es wissen und wandte sich an das Transparenzportal „Frag den Staat“. Um vergleichen zu können, fragte der Bürger gleich noch nach der Pacht für andere städtische Grundstücke in Harburg. Die zuständige Behörde antwortete ihm sogar – allerdings anders als erwartet. Für die gewünschten Auskünfte seien „umfangreiche Recherchen“ nötig. Deshalb müsse der Fragesteller mit Gebühren in Höhe von bis zu 500 Euro rechnen. So viel Geld hatte der Bürger gerade nicht übrig und er zog die Frage zurück.
Im Januar 2015 nutzte Peter Noßek, einer der Initiatoren des Bürgerbegehrens, bei einer SPD-Wahlkampfveranstaltung im Rieckhof die Gelegenheit, zwar nicht den Staat, immerhin aber den Ersten Bürgermeister der Stadt nach der Zukunft des Beachclubs zu fragen. Der Pachtvertrag sei im Herbst zwar nicht mehr verlängert worden, der Erhalt dieser einzigartigen Freizeiteinrichtung sei aber nach wie vor ein dringender Wunsch der Harburger – das habe sich nicht nur bei dem Bürgerbegehren, sondern auch beim Innenstadtdialog gezeigt. Olaf Scholz lächelte amüsiert und versprach: „Es wird auch 2016 einen Beachclub in Harburg geben.“
Tatsächlich wurde der Pachtvertrag 2015 nach einigen Irritationen noch einmal für eine angeknabberte Saison verlängert. Das war’s.
Eines Tages wird es vielleicht einen neuen Beachclub in Harburg geben, erste
Versuche sind schon da, irgendwann wird auch eine offizielle Ersatzfläche am Start sein, die noch für einige Millionen nutzbar gemacht werden soll.