Folke Havekost, Eidelstedt
Vor der Bewegung ist erstmal Sitzfleisch gefragt. Neun Kinder versammeln sich auf einer Bank in der Turnhalle der Stadtteilschule Eidelstedt. Bald wird trainiert, jetzt wird erstmal geredet: Wie war die Woche? Wie läuft die Schule? Was war gut, was hat genervt?
Sieben Jungs und zwei Mädchen nutzen jeden Freitagmittag das Angebot von „Boxschool Hamburg – Verein für Gewaltprävention“, sich für anderthalb Stunden mit der „artigen Kunst“ (A. J. Liebling) des Faustkampfs zu beschäftigen. Sie haben es oft nicht leicht in der Schule, und manchmal hat die Schule es nicht leicht mit ihnen.
„Wir unterstützen Kinder, die aus verschiedenen Gründen im Abseits stehen und Probleme im schulischen Tagesgeschäft haben“, erklärt Boxschool-Chef Olaf Jessen.
Von verschüchtert bis aggressiv reicht die Bandbreite der Verhaltensweisen unter den Jung-Teenagern. „Das Training ist unser Zugang zu ihnen“, sagt Jessen: „Boxen ist spannend und es gibt Vorbilder.“ .
Trainer Thomas Teige bittet nun zum Bewegungsunterricht: Was macht die Führhand, was die Schlaghand? Und er fragt in die Runde: „Was passiert mit euch, wenn ihr von etwas gestresst seid? Bei mir kribbelt’s in den Beinen, aber ich habe das mittlerweile in Griff.“
Kritischen Situationen auszuweichen wie Muhammad Ali der Rechten eines Gegners – auch darum geht es bei der Kombination aus Sport, Pädagogik und Sozialarbeit. „Wir wollen ein breit aufgestelltes Projekt“, sagt Lehrerin Susanne Keist und erklärt: „Ein Erzieher ist als Schnittstelle immer vor Ort.“
Insgesamt gibt Boxschool 38 Kurse an 32 Schulen, rund 800 Kinder lernen jährlich die Grundlagen des Boxens und damit einer Auseinandersetzung, die – anders als oft auf dem Schulhof – nach klaren Regeln verläuft.
Wer dazwischenquatscht, läuft Strafrunden. Wer andere beleidigt, übt sich in Liegestützen. „Wir sind dafür da, euch etwas beizubringen, damit es keine Strafen mehr gibt“, sagt Trainer Teige.
„Wenn ich Konflikte habe, muss ich nicht mehr zuschlagen“, bilanziert Schüler Jakub. Der Zwölfjährige boxt auch im SV Eidelstedt und hat inzwischen auch in Rostock gekämpft. „Hier kann ich über meine Probleme in der Schule sprechen und gemeinsam in einer Gruppe Sport machen“, sagt die 13-jährige Mina, die später „etwas mit Architektur“ machen will.
„Uns erzählen die Kinder recht offen von ihrem Stress“, berichtet Hans Ebeling, der gerade erklärt hat, warum es keine so gute Idee ist, auf dem Schulhof mit einer Spielzeugpistole herumzufuchteln. Als Erzieher ist Ebeling die pädagogische Schnittstelle zwischen der Stadtteilschule und dem im Februar 2010 gegründeten Boxschool-Verein.
Nach den Sommerferien werden neue Kinder den Kurs für mehr Selbstbewusstsein und Körpererfahrung belegen. Die Zukunft ist gesichert, auch dank einer 1.650-Euro-Spende der Stiftung „Allianz für Kinder“. „Ein Verein kann von Luft und Brot nicht leben“, sagt der Eidelstedter Allianz-Vertreter Arpad Sukola: „Hier lernen Kinder, was es heißt, ihre Wut und Frustration zu kanalisieren.“