Bei der Bundestagswahl vor einem Jahr holte Matthias Bartke (SPD) zum zweiten Mal die meisten Erststimmen im Wahlkreis Altona. Der 59-Jährige ist Vorsitzender des Ausschusses für Arbeit und Soziales in der SPD-Fraktion im Bundestag. Er wird dem eher linken Flügel der Partei zugerechnet. Das Elbe Wochenblatt fragte Bartke zum dramatischen Zustand seiner Partei und was die Altonaer beim Debattencamp in Berlin dagegen unternehmen wollen.
Herr Bartke, wie beurteilen Sie den Zustand der SPD?
Matthias Bartke: In Hamburg gut. In Berlin ist es dagegen dramatisch. Die Wahlen in Bayern und Hessen haben es nochmals verdeutlicht.
Sie haben zur Bundespolitik gesagt „Wenn die Abschaffung der sachgrundlosen Befristung das zentrale Wahlkampfthema ist, so darf man sich nicht wundern, wenn man nicht mehr durchdringt.“ Was sind aus Ihrer Sicht die Themen, die jetzt aufgegriffen werden müssten?
Die SPD muss künftig wieder die Partei der langfristigen Visionen sein. Im Bereich der Sozialpolitik müssen wir eine Alternative zu Hartz IV schaffen – hier setze ich mich für ein Recht auf Arbeit für Langzeitarbeitslose und für die Einführung einer Kindergrundsicherung ein. Und ich bin überzeugt, dass wir ein gänzlich neues System für Rüs-tungsexporte brauchen. Es kann nicht angehen, dass es auch unter sozialdemokratischer Regierungsbeteiligung nicht gelingt, Waffenexporte nennenswert zu reduzieren.
Kurzfristig müssen wir in den Großstädten die Mietpreisbremse durch Mietenstopps ergänzen. Und gegenüber den Autokonzernen gilt es, die Samthandschuhe auszuziehen – in den USA geht das schließlich auch.
Zum Debattencamp in Berlin am kommenden Sonntag, 10. November, werden viele Altonaer anreisen. Was bewegt die SPD-Mitglieder in Ihrem Wahlkreis am stärksten?
Der Rechtsruck in der Gesellschaft. International werden immer mehr Antidemokraten in Führungsämter gewählt. Und national haben wir mit der AfD ebenfalls eine Partei, die den Fremdenhass zum zentralen Punkt ihrer politischen Agenda macht.
Das Erfreuliche ist aber, dass immer mehr junge Menschen sich politisch dagegen engagieren. Die SPD hat schon seit Längerem eine außerordentlich positive Mitgliederentwicklung. Wir sind eben die Partei, die seit über 150 Jahren für die immer gleichen Grundwerte steht: Mitmenschlichkeit, Toleranz und Internationalismus.
Sie haben kürzlich die Türkische Gemeinde in Altona besucht. Was hat man Ihnen dort gesagt?
Die Gemeinde war sehr dankbar für die große Unterstützung, die sie vom Hamburger Senat erhält. Alarmiert hat mich aber, dass alle Anwesenden unter der Verschärfung des politischen Klimas leiden. Sie berichteten mir, dass sie sich früher in Hamburg immer willkommen gefühlt hätten. Das sei jetzt aber nur noch bedingt der Fall. Ein lange in Deutschland lebendes Vorstandsmitglied sagte mir sogar, dass es eine Abreise in die Türkei erwäge. Ich habe die Türkische Gemeinde an dem Abend sehr nachdenklich verlassen.
Ihre Bundestags-Arbeitsgruppe „Arbeit und Soziales” wird ein Papier in das Debattencamp einbringen. Was sind die wichtigsten Punkte?
Wir beschreiben in dem Papier unsere Vision vom Sozialstaat des 21. Jahrhunderts. Wir möchten, dass sich Leistung in unserem Land lohnt, dass der Sozialstaat aber die großen Risiken des Lebens absichert. Wir fordern eine ganzheitliche Unterstützung „wie aus einer Hand“ und wollen nicht, dass die Menschen von einer Stelle zur nächsten geschickt werden.
Und wir wollen für diejenigen Langzeitarbeitslosen, die trotz aller Bemühungen keinen regulären Arbeitsplatz finden, öffentlich geförderte Beschäftigung in einem sozialen Arbeitsmarkt anbieten – notfalls auch auf Dauer. Wir sind überzeugt, dass es besser ist, aktiv gesellschaftlich nützliche Tätigkeiten zu verrichten, als passiv Zuhause nichts zu tun.
Gehört auch die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens dazu?
Ja, für Kinder. Wir wollen eine Kindergrundsicherung. Es ist falsch, dass Kinder von armen Eltern immer noch deutlich benachteiligt sind. Hier fordern wir eine Gleichbehandlung mit Kindern von Wohlhabenderen.
Was ist mit Erwachsenen?
Bei der Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens für Erwachsene sind wir skeptisch. Das Prinzip des bedingungslosen Grundeinkommens besagt, dass der Staat dieses Grundeinkommen an jeden zahlen soll – egal ob er dafür arbeitet oder nicht. Das verstößt gegen sozialdemokratische Grundüberzeugungen. Das Streben unserer Politik ist es, Menschen dazu zu befähigen, gute Arbeit zu verrichten und gute Jobs zu bekommen. Der Staat soll finanziell nur dann einspringen, wenn Menschen aus triftigen Gründen nicht arbeiten können.
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